Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA überarbeitet
Während des Solvency II Review 2020 hat die Europäische Aufsichtsbehörde EIOPA (kurz für European Insurance and Occupational Pensions Authority) mehrere abweichende Praktiken einerseits hinsichtlich der Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen, andererseits bezüglich der Bestimmung der Vertragsgrenzen festgestellt. Diese abweichenden Praktiken erfordern zusätzliche (überarbeitete) Leitlinien, um eine konvergente Anwendung der bestehenden Verordnungen zu gewährleisten.
Zu beiden überarbeiteten Leitlinien wurden umfangreiche Dokumentationen seitens EIOPA zur Verfügung gestellt. Sofern nicht anders angegeben, bleiben die existierenden Leitlinien unverändert gültig. Die neuen Guidelines sollen ab dem 01.01.2023 angewendet werden.
Überarbeitete Leitlinie zur Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen
Folgende Punkte wurden bei der Überarbeitung neu hinzugefügt bzw. verglichen zu den vorigen Leitlinien verändert:
- Governance und Dokumentation beim Treffen von Annahmen für die Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen sowie die Anwendung von Expertenmeinungen in den Modellen. Dabei sollen Annahmen entsprechend ihrer Wesentlichkeit auf einer Ebene mit hinreichend hoher Verantwortung genehmigt werden – bis hinauf zum Managementorgan (z.B. Managementregeln in der Lebens- und Krankenversicherung).
- Die Aufwendungen für Anlageverwaltung sollen im Modell des besten Schätzwerts berücksichtigt werden. Erstattungen von solchen Aufwendungen, die der Fondsmanager dem Unternehmen zahlt, sollen als sonstige eingehende Zahlungsströme im Modell eingearbeitet werden.
- Weiters spezifizieren die neuen Leitlinien, dass dynamisches Kundenverhalten in der Modellierung berücksichtigt werden soll. Allein die Tatsache, dass keine Daten zu extremen Szenarien vorhanden sind, reicht nicht aus, um auf die Entwicklung von Modellen für das dynamische Kundenverhalten der Versicherungsnehmer zu verzichten.
- In den Leitlinien wird zusätzlich erläutert, dass es sich bei den in der Modellierung verwendeten Managementregeln um ein übersichtliches Dokument bzw. einem klar strukturierten Satz von Dokumenten handeln muss. Außerdem soll die Auswirkung von zukünftigem Neugeschäft bei der Festlegung künftiger Maßnahmen des Managements berücksichtigt werden.
- Am Ende findet man weitere Spezifikationen zur Bestimmung des EPIFP (Expected Profit in Future Premiums), wie zum Beispiel, dass Annahmen wie Sterblichkeit, Stornomöglichkeiten oder Kosten in der Berechnung des EPIFP unverändert bleiben sollen.
In den überarbeiteten Leitlinien werden demnach einige Themen klargestellt, die bereits jetzt schon von vielen österreichischen Versicherungsunternehmen (insbesondere durch die versicherungsmathematischen Funktionen) in Anwendung sind. Bei manchen Klarstellungen, wie zum Beispiel der Modellierung des dynamischen Kundenverhaltens oder der Berechnung des EPIFP, besteht möglicherweise Anpassungsbedarf.
Überarbeitete Leitlinie zur Bestimmung der Vertragsgrenzen
Der erste Teil der neuen Leitlinie betrifft vor allem die Modellierung der Prämienrückstellung in der Schaden-/Unfallversicherung. Darin wird klargestellt, dass die Vertragsgrenzen nicht als bestimmter Zeitpunkt betrachtet werden sollen, sondern vielmehr dazu dienen, die Prämien und Verpflichtungen, die Bestandteil des Vertrags sind, von den Prämien und Verpflichtungen, die nicht Bestandteil des Vertrags sind, abzugrenzen.
Die Prämien und Verpflichtungen, die Bestandteil des Vertrags sind, sollen auf Basis von realistischen Annahmen projiziert werden. Dadurch kann es durchaus vorkommen, dass insbesondere aufgrund der historischen Abwicklung der Zahlungsströme auch Verpflichtungen über die bestimmten Vertragsgrenzen hinaus ausgelöst werden.
Ein einfaches Beispiel:
Angenommen, wir berücksichtigen einen KFZ-Haftpflicht-Vertrag, der das Risiko des folgenden Jahres deckt, wobei die Prämien während des Jahres vor der Deckung (Annahme 31.12.) bezahlt werden. Wenn ein Schaden eintritt, wird angenommen, dass sich die tatsächlichen Zahlungen auf die folgenden drei Jahre verteilt. Das Versicherungsunternehmen hat das Recht, jede zukünftige Prämie so zu ändern, dass sie dem Risiko voll entsprechen. Der Vertrag soll zum Zeitpunkt t bewertet werden.
Obwohl die Vertragsgrenze im obigen Beispiel nur ein Jahr beträgt, müssen trotzdem die projizierten Zahlungsströme über den Zeitpunkt t hinaus berücksichtigt werden. Der undiskontierte Best Estimate, der in der ökonomischen Bilanz zu berücksichtigen wäre, ist in diesem Beispiel schlussendlich mit 176 bewertet.
Weiteres wird in den überarbeiteten Leitlinien die Beurteilung spezifiziert, ob eine Deckung einer finanziellen Garantie einen erkennbaren Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Vertrags hat.
Zusätzlich wurden die Leitlinien zum Thema Entbündelung eines Vertrags ergänzt.
Die überarbeiteten Leitlinien der EIOPA sowie weitere umfangreichere Dokumentationen und Erläuterungen sind auf der Homepage der Europäischen Aufsicht zu finden: